Tonbandmusik

Hrönir

Zwei Personen suchen einen Bleistift: die erste findet ihn und sagt nichts; die zweite findet einen zweiten nicht minder wirklichen Bleistift, der jedoch ihrer Erwartung besser angepasst ist. Diese Sekundärgegenstände heissen »hrönir« und sind, wenn auch anmutlos in der Form, um ein weniges grösser. Bis vor kurzem waren die »hrönir« Zufallskinder der Zerstreutheit und der Vergesslichkeit...
Jorge Luis Borges

neoZoen

Als Neozoen (aus dem Griechischen: neon - neu, zoon - Lebewesen) bezeichnet man Tierarten, die direkt oder indirekt durch die Wirkung des Menschen in andere Gebiete eingeführt worden sind und sich dort fest etabliert haben.
Der übergeordnete Begriff in der Invasionsbiologie lautet Neobiota.

neoZoen ist zusammen mit der autoaktiven Klanginstallation Neophyta für das Festival XVII. Zepernicker Randspiele zum Thema "Genesis" entstanden und gleichzeitig ein Beitrag zum Charles-Darwin-Jahr 2009.

Hörbeispiel: (reduziert auf Stereo)

Sprachspiel

Man kann sagen, der Begriff ›Spiel‹ ist ein Begriff mit verschwommenen Rändern.
- »Aber ist ein verschwommener Begriff überhaupt ein Begriff?« -
Ist eine unscharfe Photographie überhaupt ein Bild eines Menschen?
Ja, kann man ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein scharfes ersetzen?
Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir brauchen?
Ludwig Wittgenstein

Encounters

"Encounters" ist eine 8-kanalige Computermusikkomposition, in der technische und kompositorische Modelle aus der Frühzeit der elektroakustischen Musik auf eine andere Ästhetik übertragen wurden. Die Klänge wurden fast ausschließlich mit gefilterten Impulsfolgen generiert. Die Gesamtstruktur, die Impulsfolgenparameter, die Filtereinstellungen und die räumliche Aufteilung sind von einer Allintervallreihe sowie Primzahlverhältnissen abgeleitet - Hilfsmittel, die in der seriellen Komposition der 50er Jahre größtmögliche Diversität und dennoch Zusammenhang sichern sollten. Obwohl die einzelnen Teile beim ersten Hören statisch zu sein scheinen, gibt es immer wahrnehmbare Veränderungen. Es geht um Zeit und Oberflächen im Raum, um Immersion und Auflösung.

"Encounters" wurde für das Internetprojekt SoundLAB VI - soundPOOL ausgewählt: sound.newmediaserver.org/sl6/feature06.html

2015 enstand eine audio-visuelle Version von Encounters.

Hörbeispiel: (reduziert auf Stereo)

agrajag

Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau rausfindet, wozu das Universum da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt.
Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.

Douglas Adams

"agrajag" wurde für die 16-kanalige Lautsprecherkonfiguration der vom Elektronischen Studio der TU-Berlin und dem DAAD Berlin organisierten "Fünf+1"-Konzerte im Kleinen Wasserspeicher in Berlin Prenzlauer Berg geschrieben. Zur Verwendung kamen ausschließlich Klänge, die zuvor an diesem Ort aufgenommen worden waren.

Hörbeispiel: (reduziert auf Stereo)

L'eco d'Orfeo

Fünfter Akt:
In den Ebenen Thrakiens, von den Tieren und heranrückenden Bäumen umringt, beklagt Orpheus den endgültigen Verlust Euridices.

"L'eco d'Orfeo" ist auf der von Stefan Fricke kuratierten DEGEM CD9 "ORPHEUS 400" bei Cybele Records erschienen.

Hörbeispiel:

durchschlagend

Dieses kurze Tonbandstück wurde für die XV. Randspiele in Zepernick (ein jährlich im Norden von Berlin stattfindendes Festival für Neue Musik) geschrieben. Bezugnehmend auf den Schwerpunkt dieser Ausgabe des Festivals - "Neues vom Akkordeon" - habe ich bei der Materialauswahl einige Aspekte der Tonerzeugung beim Akkordeon aufgegriffen: Maultrommel, Kalimba und schwingende Lineale (durchschlagende Zungen) sowie Geräusche von Luftpumpen. Einige wenige Akkordeontöne dienen als Rahmen.

Hörbeispiel:

Jazvuk

"Jazvuk" wurde für die Reihe PremEdice Radioatelier vom Tschechischen Rundfunk in Auftrag gegeben.
Ausgangsmaterial waren eine Sprachaufnahme des bekannten tschechischen Zungenbrechers "Strc prst skrz krk" (Sprecherin: Lenka Župková) sowie mehrere Außenaufnahmen, die ich im April 2007 in den belebten Strassen von Prag gemacht habe. Den fast nur aus geräuschhaften Phonemen bestehenden tschechischen Satz zerlegte ich in Einzellaute, aus denen ich mit Hilfe granularer Resynthese jeweils kleine verschiedene charakteristische Klangszenen entwickelte. So entstanden um jedes der 4 Worte die Abschnitte des Stückes. Die realen Strassengeräusche, die vor allem durch das vielsprachige Stimmengewirr der Touristen gekennzeichnet sind, verschieben sich immer wieder zu surrealen Klanglandschaften aus den Sprachlauten.
Ein Spiel mit realen und imaginären Klangräumen, akustischen Perspektiven und Distanzen.

Ein Teil von "Jazvuk" findet sich auf der Radio Art Compilation CD Deep Wireless 5, die von New Adventures in Sound Art (NAISA) im Rahmen des Festivals Deep Wireless im Mai 2008 produziert wurde.

Hörbeispiel:

Reale Existenz!

Das Stück basiert auf kurzen Ausschnitten einer Vorlesung von Erwin Schrödinger, einem der Väter der Quantenphysik. Der Name Schrödingers ist relativ bekannt wegen seines nach ihm benannten Gedankenexperiments, in dem er mit Hilfe einer in einem Kasten eingeschlossenen Katze die Überlagerung von Quantenzuständen bzw. deren Paradoxie zu illustrieren versuchte. Im Kasten befindet sich außerdem ein Geigerzähler, der den Zerfall eines Atoms registrieren kann, sowie ein Behälter mit tödlichem Gas, das freigesetzt wird, sobald der Detektor anspricht. Entsprechend der Überlagerung der beiden möglichen Quantenzustände des instabilen Atoms ist die Katze sowohl schon tot als auch noch lebendig. Erst ein Kollaps der Wellenfunktion dieses Systems - herbeigeführt durch einen den Kasten öffnenden Beobachter oder durch den Einfluss der makroskopischen Umgebung - kann die arme Katze aus ihrem unentschiedenen Zustand erlösen.

Das Stück wurde ursprünglich für die Wiedergabe im Wellenfeldsynthese-System im Hörsaal H104 der TU-Berlin realisiert.
Für Aufführungen außerhalb des WFS-Systems wurde eine quadrofone Version gemischt.

Hörbeispiel: (reduziert auf Stereo)

Expression

"Expression" lautet der Titel des letzten Stücks der gleichnamigen letzten Schallplatte, die John Coltrane mit seinem Quartett 1967 kurz vor seinem Tod aufgenommen hat. Der Titel „Expression“ stammt von ihm selbst. Befragt nach erklärenden Texten zu den Stücken auf diesem Album, antwortete Coltrane:
with absolutely no notes. (...) By this point I don’t know what else can be said in words about what I’m doing. Let the music speak for itself.

Hörbeispiel: (reduziert auf Stereo)

Zungenschlag

Gemäß der heute allgemein anerkannten Evolutionstheorie haben sich die Sprache und die Sprachwerkzeuge herausgebildet, weil sie der menschlichen Rasse einen Überlebensvorteil verschafft hat.
Ist Musik ein Ergebnis der natürlichen Zuchtwahl?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Kunst und Evolution?

Der Linguist und Kognitionswissenschaftler Stephen Pinker:
Ich vermute, daß Musik akustischer Käsekuchen ist.

Rondeaux Trouvés

Der Titel Rondeaux Trouvés ("gefundene Rondos") bezieht sich sowohl auf das Konzept des "objet trouvé" ("gefundenes Objekt") in Pierre Schaeffers musique concrète (wie schon früher in der Bildenden Kunst bei Duchamp) als auch auf die Trouvères oder Troubadours ("Erfinder") im mittelalterlichen Frankreich, die - dem deutschen Minnesänger verwandt - Poeten, Komponisten und Sänger in einem waren und zumeist Liebeslieder zur Ehre einer adligen Dame verfassten.
In diesem Stück wurden Aspekte verschiedener Rondo-Formen, u.a. Kompositionen mittelalterlicher Trouvères (Adam de la Hale und Jehannot de Lescurel) mit einfachen periodischen und kreisenden Bewegungen kombiniert, um verschiedene Klänge zu strukturieren und organisieren: Aufnahmen einiger rotierender Objekte, vokale und instrumentale Rundtänze aus der Bretagne, Frankreich
Alle Klänge sind fast ständig in räumlicher Bewegung, sie rotieren oder pendeln entweder langsam und gemeinsam in Gruppen bzw. Blöcken oder sie bewegen sich sehr schnell und unabhängig voneinander, wobei die einzelne Bewegung in der Wahrnehmung zurücktritt und statt dessen eine Art räumlicher Textur erscheint.

Rondeaux Trouvés erhielt eine honorable mention beim 4. Concurso Internacional de Música Eletroacústica de São Paulo 2001 und erschien auf der CD Música Maximalista Vol.8.

Anmerkungen zur Realisation

Das Stück wurde vollständig auf einem PowerMacintosh 8500 mit einem ProTools-Hardiskrecordingsystem produziert. Für die Klangbearbeitung habe ich hauptsächlich SuperCollider2 und gelegentlich SoundHack verwendet. Die wesentlichen Bearbeitungsschritte waren, neben den üblichen Schnitttechniken, Filterung, Convolution, Schichtung sowie räumliche Verteilung und Bewegung. Vor allem durch Filterung und Convolution wurde versucht, jeweils zwei Vertreter der unterschiedlichen Ausgangsklangmaterialien (rotierende Objekte, wie Diskette, Roulette-Kugel und Karussell, sowie bretonische Instrumente, wie Drehleier, Bombarde oder Cornemuse) miteinander agieren und Klangeigenschaften austauschen zu lassen.

Hörbeispiel: (reduziert auf Stereo)

Responsorium

Responsorium basiert auf der Idee der „Antwort“ als Archetyp in Musik und Physik. Es entwickeln sich Mono-, Dia- und Multiloge auf verschiedenen Ebenen von Raum und Zeit.

respondeo 1. dagegen versprechen, geloben; 2.a) antworten; b) (Orakel) Bescheid geben; c) sich melden, sich stellen; 3.a) entsprechen; b) (räuml.) gegenüberliegen; c) einer Sache gewachsen sein; d) vergelten.

Die Impulsantwort (engl. impulse response) h(n) eines linearen zeitinvarianten Systems ist die Fourier-Rücktransformierte der Übertragungsfunktion H(w). Das System wird daher durch seine Impulsantwort ebenfalls vollständig beschrieben.

responsorial: aus der jüdischen Liturgie abgeleiteter und besonders in der frühchristlichen Psalmodie ausgeprägter Gesangsvortrag, bei dem Gemeinde oder Chor refrainartig auf einen solistisch vorgetragenen Vers anworten; siehe auch Responsorium

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