Einklang

Einklang entstand im Rahmen eines Kompositionsauftrags vom ZKM Karlsruhe, Institut für Musik und Akustik, zu den Europäischen Glockentagen 2004.


Aufführungen

Einklang wurde zweimal zusammen mit den Stücken der beiden anderen Preisträger des Kompositionswettbewerbs, Mario Verandi und Frank Niehusmann, während der Europäischen Glockentage im September 2004 im Kubus des ZKM, Karlsruhe, aufgeführt.

Bildmaterial

Die folgenden Standbilder stammen von Montagen von der Demo-DVD bzw. zeigen Bilder einzelner Monitore sowie einige Fotos aus der Glockengiesserei:


Weitere Fotos und Erläuterungen zum Glockengießen: www.kunstguss.de/kgndx.html

Zwei kurze Video-Ausschnitte von der Demo-DVD:

Demo-DVD clip 1 Demo-DVD clip 2


Diese Aufnahmen, die mit einer Kamera während einer Aufführung von Einklang gemacht wurden, zeigen einen Teil der 11 Bildschirme:

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Programmanmerkungen

Läutende Kirchenglocken fallen wohl jedem durch die typischen polyrhythmischen Verschiebungen der unterschiedlich schnell pendelnden Glocken auf. Diese „Phasenverschiebungen“ erscheinen als eigentliches musikalisch-strukturelles Charakteristikum von Kirchenglocken. Im Klang einer Glocke wiederholen sich in gewisser Weise diese Aperiodizitäten in Form zumeist inharmonischer Teiltonverhältnisse. Und so wie das Ohr sich den Glockenklang zu einem oft nur virtuell vorhandenen Schlagton zurechthört, versuchen wir beim Hören mehrerer Glocken die gleichzeitig aber unabhängig ablaufenden Pendelschläge zu einem übergeordneten Rhythmus zusammenzufassen. Dieser auf zwei Ebenen, im Klang und in der Zeitstruktur, auftretende Widerstreit eigenständiger Schwingungen, den unsere Wahrnehmung verzweifelt zu ordnen versucht, bildet einen Grundgedanken von „Einklang“.
Klanglicher Ausgangspunkt sind aber nicht die Klänge von Kirchenglocken sondern die Tonaufnahme eines einzelnen hohen Schlags eines kleinen koreanischen Glöckchens. Ostasiatische Glocken haben eine bienenkorbähnliche Form und daher auch einen anderen Klang als europäische Kirchenglocken. Dieses Glöckchen wird im Verlauf des Stücks in seine spektralen Bestandteile zerlegt, die sich zunehmend zu eigenständigen Klängen und Strukturen entwickeln. Dazu gesellen sich Tonaufnahmen aus einer Glockengiesserei. Die unterschiedlichen Geräusche werden zeitlich und klanglich unter Zuhilfenahme der spektralen Verhältnisse einer Kirchenglocke manipuliert, die somit einen virtuellen Hintergrund liefert, auch wenn sie selbst im Stück nicht zu hören. Ein weiterer asiatischer Glockenklang sowie einige Aufnahmen quasiperiodischer Naturgeräusche ergänzen das Klangrepertoire des Stücks.
Die visuelle Ebene wird ganz von Videoaufnahmen aus der Glockengiesserei Lauchhammer bestimmt. Die Videofragmente wurden nach Kriterien wie Geschwindigkeit, Richtung, Farbe, Dichte, Struktur, Periodizität und Asynchronität organisiert und zu verschiedenen Szenen zusammengesetzt, die sich auf unterschiedliche Weise auf die oben erwähnte Eigenschaft des Glockengeläuts beziehen lassen.

Anmerkungen zur Realisation und zur Aufführung

Das Klangmaterial von Einklang basiert fast ausschließlich auf Glockenklängen und Geräuschen aus der Glockengiesserei. Ein einzelner Schlag auf einem kleinen koreanischen Glöckchen wurde mit 192 kHz / 24 bit aufgenommen, um auch die ziemlich hohen Teiltöne bis zu 70 kHz zu erfassen. Aus diesem Klang komponierte ich die ersten 9 Minuten des Stücks als einen einzigen Prozess, in dem die Teiltöne des Glockenschlags langsam zerstreut, tieftransponiert und allmählich wiederum in eine Vielzahl separater Glockenschläge transformiert werden. Dieser und eine Reihe weiterer Prozesse wurden in SuperCollider3 als bereits mehrkanalige Strukturen komplett programmiert. Später wurden die so entstandenden 8-kanaligen Soundfiles in Nuendo zum Gesamtstück arrangiert.
Das Bildmaterial habe ich während dreier Glockengüsse im Frühjahr und Sommer 2004 in Lauchhammer aufgenommen. Die gesamte Videobearbeitung wurde mit Jitter (MaxMSP) und FinalCut gemacht.

Der Videoteil von Einklang besteht aus 7 DVD-Videos, die simultan wiedergegeben werden müssen (entweder durch den Start mit einer gemeinsamen Fernbedienung oder über synchronisierbare DVD-Player). Jeder DVD-Player ist mit 1 oder 2 Bildschirmen (Video-Monitore oder Fernsehgeräte) verbunden. Der 8-kanalige Sound ist nicht auf den DVDs enthalten, er wird direkt vom Computer mit geeignetem Mehrkanal-Audiointerface abgespielt.

(Skizze zum Aufführungsaufbau)

Reviews


Streifenblende und Schmatz-Beat

Multimediale Glocken-Klang-Bilder im ZKM · Von Silke Blume

Handglockenchor, ökumenische Gottesdienste und öffentlicher Glockenguss – das Programm der Europäischen Glockentage 2004 in Karlsruhe war bunt und vielfältig und umfasste Ausstellungen, Vorträge und viel interessante Musik vom Gambenconsort bis zu multimedialen Glockenimpressionen.

Ein Stipendium winkte dem Gewinner des internationalen Kompositionswettbewerbes, den das Institut für Musik und Akustik des ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie) aus Anlass der Glockentage ausgeschrieben hatte. 21 Komponisten beteiligten sich und letztlich wurden drei Stipendien statt einem vergeben. Als Grundlage der jeweils circa 20-minütigen Werke sollten die klanglichen Eigenschaften von Kirchenglocken und deren elektronische Manipulation dienen. Die drei Stipendiaten haben bereits zahlreiche Preise eingeheimst. Der aus Argentinien stammende Komponist Mario Verandi studierte Musik und Informatik und erwarb 2001 seinen Doktortitel im Fach Komposition an der University of Birmingham. Er gewann den Wettbewerb mit „Bellscape“ einem „akusmatischen“ Zwei-Kanal-Stück, aufgeteilt auf 14 Lautsprecher, einer Reise durch eine sich ständig verändernde Klanglandschaft. Verandi hat sich vor allem mit dem unharmonischen Frequenzspektrum von Glocken und ihren Charakteristika beim Verklingen beschäftigt. Entstanden ist ein Diskurs zwischen realen und computergenerierten Glockenklängen. Durch Überlagerungen gibt es wabernde Halleffekte, oder leichte Tonhöhenschwankungen, die an die Glasharmonika erinnern. Carillonmelodien im Quintraum sind zu hören, Glocken, die mit Ruten oder Besen angeschlagen werden, dazu Klöppeldiminuendo, Becken, elektronisches Blubbern und Geräusche wie Tröpfeln auf ein Xylophon. Ohrenfutter mit viel Abwechslung, eine akustische Reise doch ohne Struktur im engeren Sinne, aber die hatte der Komponist ja auch gar nicht beabsichtigt.

Andre Bartezki erhielt sein Tonmeisterdiplom an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ und hat regelmäßig Lehraufträge zu Themen elektroakustischer Musik. Ihn reizten an Glocken die polyrhythmischen und Phasen- Verschiebungen. „Einklang“ für acht Lautsprecher und multiples Video (auf elf Monitoren) beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass der Mensch versucht einen eindeutigen Schlagton „zurechtzuhören“ und aus den verschiedenen Pendelschlägen eines Geläutes einen übergeordneten Rhythmus zu erfassen. Ausgangspunkt ist der Klang eines einzelnen hohen Schlags eines kleinen koreanischen Glöckchens in Bienenstockform; die große Version wird mit einem Baumstamm angeschlagen. Bei den Miniexemplaren sind keine Obertöne mehr wahrnehmbar. Mit diesen hellen, silbrigen Klängen hat Bartezki Tonaufnahmen aus einer Glockengießerei kombiniert. Auch die Videos stammen von dort. Eine vertikale Streifenblende verdeckt zunächst den Großteil; peu à peu nimmt die Breite des Streifens zu, bis das komplette Bild zu sehen ist. Teils sind es untypische Bilder von Wasserhähnen und Kabeln, teils typische von glühendem Erz, prasselndem Feuer oder einer fertigen Glocke mit der Inschrift „Höret, so wird eure Seele leben“. Die Bilder werden in der Horizontale gevierteilt und die Streifen gegeneinander verschoben. Zuweilen korrespondieren Bild und Ton, wie beim Prasseln. Dann werden die Arbeitsgeräusche neu geordnet: periodisches Donnern entsteht – das Glockengießergewitter, eine andere Struk-tur, aber kein „Einklang“.

Frank Niehusmann hat ein Philosophiestudium absolviert und arbeitet als freischaffender Komponist vorwiegend mit Computern. Sein Live-elektronisches Konzert für vier Lautsprecher trägt den Titel „Was da los ist“. Ihn interessiert der „soziale Kontext“, da Glocken auch als Alarm- und Signaltöne dienen. Die Form bezeichnet Niehusmann als „Zitat“, denn er steht mit einem Midi-Keyboard auf der Bühne – wie im guten alten Konzertsaal. Er arbeitet mit Samples von Kirchen- und Kuhglocken, lautem Muhen und einem deftigen Schmatz-Beat, Gongs, megaphonverstärkter Sprache oder Krankenwagensirenen. Bei seiner Live-Performance ergibt sich ein rhythmisch dichtes Geflecht aus Siebensekundenloops, bei dem der aufmerksame Zuhörer ständig mit der Frage beschäftigt ist „Was da los ist“. So war es gedacht.

Die prämierten Werke sind hörenswerte Auseinandersetzungen mit dem Thema Glocken, Gratwanderungen zwischen Spielereien und Kompositionen.

Silke Blume (neue musik zeitung 2005/03 | Seite 45-46)
http://www.nmz.de/nmz/2005/03/bericht-karlsruhe.shtml


Klangspielereien

Die Europäischen Glockentage Karlsruhe ließen keinen Aspekt des Themas aus. Um zeitgenössische Komponisten zu einer Auseinandersetzung mit der Glocke zu bewegen, wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Drei Stücke erhielten einen Preis in Form eines Stipendiums und wurden im ZKM uraufgeführt. Natürlich war nicht zu erwarten, dass Schillers "Glocke" vertont worden wäre oder spätromantisch angehauchte Glockenspiele stattfinden würden. Der Wettbewerb bezog sich ausdrücklich auf das, was die meisten zeitgenössischen Komponisten ohnehin tun, nämlich in technischen Spielereien Klänge zu zerlegen und collagen artig neu zusammen zu setzen, frei nach dem Motto: Hört mal, was wir aus einem simplen Glockenschlag alles machen können.Eine Klanglandschaft zum Beispiel. Mario Verandi hat sein Stück "Bellscape" getauft, und wenn man im verdunkelten ZKM-Kubus den Klängen lauscht, die aus 14 Lautsprechem kommen, kann man seiner Fantasie freien Lauf lassen. Der argentinische Komponist holte mit Hilfe der Elektronik eine erstaunliche Vielfalt an Klangfarben und rhythmischen Anordnungen aus dem Material Glockenklang., es klirrte, läutete, rauschte und schepperte aus den Lautsprechern, dass man "Bellscape" stellenweise für die Begleitmusik eines Gruselfilms über unheimliche, mordende Glocken halten konnte Weniger phantasievolle und eher musiktheoretisch orientierte Zuhörer würden die Sequenzen von "Bellscape" als Variationen über das Thema "Glockenklang, elektro-akustisch aufbereitet" hören. Immerhin, langweilig ist "Bellscape" nicht, obwohl man das Wettbewerbsstück kaum je wieder irgendwo hören wird.

Dasselbe dürfte auch für "Einklang" gelten. Eigentlich sind zeitgenössische Tonsetzer zu bedauern. Kaum eines ihrer Werke wird je zum Repertoire gehören, da für die Veranstalter eine Uraufführung viel interessanter ist. Dabei wird kein Aufwand gescheut.

Andre Bartetzki stattete "Einklang" für acht Lautsprecher mit einem multiplen Video aus, damit die Zuhörer etwas zum Sehen haben statt im Dunkeln zu sitzen. Der Aufbau des Stückes folgt der bewährten Dramaturgie des leisen Anfangs, der konsequenten Steigerung auf einen Höhepunkt hin und des zurückgenommenen Ausklangs. Als Grundlage nahm Bartetzki nicht eine Kirchenglocke, sondern ein koreanisches Glöckchen. Dessen hellen, kurzen Schlag ließ er zunächst in einzelnen Tropfen aus den Lautsprechern fallen, steigerte die übereinander gelegten Schläge zu rauschendem Regen und schließlich zu einer klangvollen Sinfonie.

Frank Niehusmann kam mit "Was da los ist" der Vorstellung von einem Konzert am nächsten, er setzte sich nämlich an die Klaviatur seines speziellen Computers und legte los, als wolle er die Preludes von Rachmaninoff interpretieren. Vorsorglich wies er die ZUhörer darauf hin, dass es ihm besonders um den sozialen Kontext von Glockenklängen ginge und er grundsätzlich den "intensiven Genuss von Lautstärke" empfehle. So war man nicht überrascht, dass sich das Stück stellenweise wie Techno anhörte und die Glockenschläge stark rhythmisch bearbeitet wurden. Niehusmann erwies sich als Hörspielautor im Komponistengewand, rappende Sprechsequenzen hatten ihren Platz ebenso wie furioses Glockenhämmern, das Assoziationen hervorrief an ein Nibelheim, in dem die Zwerge wie unter Drogen arbeiten. Sirenengeheul, Feuerwerksgeräusche und Explosionen, orientalischer Glockenrap - Niehusmann servierte live eine bunte Klangcollage von hohem Unterhaltungswert. Ob die Zuhörer danach das ganz normale Glockenläuten einer Kirche je wieder unbefangen hören können?

Pforzheimer Zeitung, 30.09.2004