Areal BA 44

Aufführungen

Die Uraufführung fand im Rahmen der Reihe "Kontraste" des Eckernförder Ensembles reflexion K im November 2009 statt.
Beatrix Wagner - Flöte, Joachim Striepens - Klarinette, Lenka Zupková - Violine, Gerald Eckert - Violoncello, Andre Bartetzki - Elektronik und Klangregie

Bild- und Klangbeispiele


Seite mit Wellenformgrafik aus der Partitur, Teil C Seite mit Wellenformgrafik aus der Partitur, Teil F


Hörbeispiel:

Anmerkungen zum Stück

BA 44 ist eines der 52 Areale der menschlichen Großhirnrinde, gemäß der etwa 100 Jahre alten Einteilung des Neuroanatomen Korbinian Brodmann. In den Arealen BA 44 und 45 liegt wiederum das sogenannte Broca-Areal, das seit langer Zeit als Zentrum für die Ausbildung der Sprache, für Sprachmotorik, Lautbildung, Artikulation usw. bekannt ist. Eine Schädigung im Broca-Areal kann zur motorischen Aphasie führen, d.h. zum Verlust der Sprachfähigkeit, wobei das Sprachverständnis weitgehend intakt bleibt, das seinerseits in einem anderen Brodmann-Areal lokalisiert ist.
Ende des 20. Jahrhunderts wurden zunächst bei Affen die sogenannten Spiegelneuronen entdeckt. Spiegelneuronen sind Nervenzellen, die im Gehirn während der Betrachtung eines Vorgangs die gleichen Potenziale auslösen, wie sie entstehen würden, wenn dieser Vorgang nicht bloß passiv betrachtet, sondern aktiv gestaltet werden würde. Dies gilt nicht nur für beobachtete rein motorische Handlungen bzw. Bewegungen sondern auch für beobachtete Emotionen. Das heißt, daß die reine Beobachtung von Handlungen oder von Gesichtern Anderer im eigenen Gehirn die gleichen Aktivitätsmuster hervorruft, als wäre man selbst Handelnder oder würde die gesehene Emotion selbst erleben.
Vor einigen Jahren wurde auch beim menschlichen Gehirn ein Spiegelneuronensystem lokalisiert: es befindet sich im Brodmann-Areal 44 - eben dort, wo auch die Sprachfähigkeit angesiedelt ist. Spiegelneurone werden mittlerweile mit Imitation, dem Lernen und dem Verstehen von Absichten in Verbindung gebracht, ebenso wie mit Empathie und Autismus. Es wird darüber diskutiert, ob die Spiegelneuronen nicht sogar ein wesentlicher Schlüssel für Sprache und Kultur überhaupt sein könnten.

Anmerkungen zur Realisation

Inspirierender Hintergrund dieses Stücks sind die vor einiger Zeit entdeckten Spiegelneuronen (siehe oben)
Angeregt durch diese Thematik wollte ich ein Stück schreiben, bei dem das Beobachten bzw. Zuhören und Imitieren bzw. Umsetzen des Gehörten eine zentrale Rolle spielt. Daher finden sich in der Partitur nur wenige ausnotierte Zeilen. In den 3 Hauptteilen des Stück (C, E, F), die gar nicht bzw. nicht auf übliche Weise notiert sind, kommt die Idee des innerlichen Nachvollzugs gesehener (hier natürlich "gehörter") Gesten und Handlungen auf verschiedene Weise zur Umsetzung:

- für den Teil C bekommen die Spieler anstelle eines Notentextes jeweils eine Reihe kürzerer Soundfiles, die sie sich anhören und so gut wie möglich nachspielen bzw. imitieren müssen. Diese Soundfiles sind je Stimme auch in der Partitur als Wellenform abgebildet, als grafische Orientierungshilfe für das Zusammenspiel. Die Spieler müssen also beim Einstudieren ihres Parts für jedes ihrer Soundfiles eine eigene Umsetzung für ihr jeweiliges Instrument entwickeln und auswendig lernen. Prinzipiell enthalten die Soundfiles instrumentale Klänge, die aber mehr oder weniger stark elektronisch bearbeitet und verfremdet worden sind. Das Imitieren bzw. Nachspielen soll so gut wie möglich erfolgen, d.h. hinsichtlich Tonhöhen, Artikulation, Dynamik, Dauer usw.. Im Vordergrund steht jedoch immer die gestische Qualität. Die Soundfiles bzw. Klangmodelle dienen nur zur Einstudierung und sind während der Aufführung selbst nicht zu hören.

- Teil F ist im Prinzip ähnlich wie Teil C, nur daß die Soundfiles wesentlich länger sind und daher wahrscheinlich kaum noch detailiert nachgespielt bzw. erinnert werden können. Hier kommt es mehr auf das Nachempfinden der texturellen und klanglichen Qualitäten an.

- Teil E: hierfür bekommen die Spieler im Vorfeld keinerlei Material, denn es geht hier um das Imitieren von im Moment der Aufführung gehörten Gesten, die vom laut zugespielten mehrkanaligen Tonband kommen. Die Spieler müssen dem Tonband zuhören und nach Belieben einen eben gehörten Klang, eine Geste oder kurze Passage herausgreifen und nachspielen, wobei dann auch Änderungen der Gestik erlaubt und gewünscht sind. Gleichfalls können auch Fragmente des Spiels der anderen Musiker nachgeahmt werden usw.

Es folgen als Beispiel einzelne Klangmodelle mit grafischer Darstellung aus der Partitur und deren Imitiation durch die Spieler:

Klangmodell Nr. F 06 für Violine:


Imitation durch die Violine:
Klangmodell Nr. C 24 für Klarinette:


Imitation durch die Klarinette:
Klangmodell Nr. C 10 für Flöte:


Imitation durch die Flöte:

Neben einigen kürzeren und längeren mehrkanaligen Tonbandzuspielen finden in allen Abschnitten auch verschiedene live-elektronische Bearbeitungen der Instrumente statt: Ringmodulation, irreguläre Verzögerungen, Pitch-Shifting, Resoanzfilterung, Verhallung, Dopplereffekte u.a.
Die Live-Elektronik und die Zuspielung der Tonbandteile erfolgt mit SuperCollider3.
Für die Live-Elektronik sowie für die generelle Verstärkung der Instrumente kommt je Instrument ein gerichtetes Mikrofon zum Einsatz. Im Falle der beiden Streichinstrumente sollten nach Möglichkeit Kontakt- bzw. Clip-Mikrofone verwendet werden.