Eutropia

Aufführungen

Eutropia wurde im Juni 2018 vom Ensemble Berlin PianoPercussion im Rahmen des Konzerts "Time Expandings II" im Konzerthaus Berlin uraufgeführt.

Sawami Kiyoshi, Klavier
Adam Weisman, Perkussion
Andre Bartetzki, Elektronik und Projektion

Eutropia basiert zum großen Teil auf den gleichen Strukturen und Algorithmen wie mein Stück morphony für audiovisuelle Elektronik.


Bild- und Klangbeispiele

Zusammenschnitt von der Uraufführung:




Anmerkungen zum Stück

1952, zwei Jahre vor seinem frühen Tod beschäftigte sich der britische Mathematiker und Pionier der Informatik Alan Turing auch mit Problemen der Theoretischen Biologie und beschrieb in „The Chemical Basis of Morphogenesis“ wie sich in einer ursprünglich homogenen Mischung verschiedener Substanzen unter bestimmten Voraussetzungen spontane Musterbildungsprozesse abspielen können, die zu Streifen, Flecken, Spiralen, Wellen und anderen Formen führen. Turing sah darin eine modellhafte Erklärung für das Zustandekommen der bekannten Muster auf den Fellen verschiedener Tiere oder für Formenbildung bei Pflanzen. Etwa zur selben Zeit entdeckte der russische Biochemiker Boris Beloussow, ohne Turings Arbeit zu kennen, zufällig eine chemische Oszillation, die sich in periodischen Farbwechseln eines homogenen Gemischs mehrerer Stoffe äußerte. Beloussow konnte seine Entdeckung zunächst nicht veröffentlichen, da die Fachwelt damals solche chemischen Reaktionen für unmöglich hielt. Erst mehr als 10 Jahre später wiederholte und erweiterte der Physiker Anatoli Schabotinski die Versuche von Beloussow. Diese Untersuchungen stießen inzwischen auf mehr Interesse und so fanden die sogenannten Reaktions-Diffusions-Systeme schließlich Eingang in interdisziplinäre Forschungen zur Selbstorganisation in Nichtgleichgewichtssystemen, bei denen Strukturbildungen in unbelebter wie belebter Natur systemtheoretisch untersucht werden.

"Eutropia" ist der Name einer der imaginären Städte aus Italo Calvinos "Le città invisibili".

Anmerkungen zur Realisation

In meinem Stück bilden Klavier, Schlagzeug und Audioelektronik gemeinsam mit der Videoprojektion ein großes, intermediales akustisch-visuelles Reaktions-Diffusions-System. Analog zu verschiedenen Mischungsverhältnissen, veränderlicher Zufuhr von Substanzen in das System oder unterschiedlich großen Petrischalen in Laborexperimenten, die zu je anderen Ergebnissen, stabilen oder instabilen Zuständen und Mustern und stehenden oder wandernden Wellen führen können, werden im Stück die Stimmen und ihre Gewichtungen organisiert, Klangmaterial variiert und entwickelt und Formabschnitte gebildet. Das chemische „Vorbild“ kann dabei immer über das Videobild verfolgt werden, wobei die Projektion das musikalische Geschehen nicht einfach nur durch Visualisierung verdoppelt. Vielmehr ist die Erzeugung des Bildes in den Reaktionskreislauf eingebunden. Das Bild wirkt sich auf den Klang aus, aber auch umgekehrt beeinflussen Musiker und Elektronik die sichtbaren Systemveränderungen.

Die Programmierung von Eutropia erfolgte mit SuperCollider (Audio sowie Ablaufsteuerung und OSC-Kommunikation) und openFrameworks / OpenGL (Video und Simulation des Reaktions-Diffusions-Systems). Während der Aufführung werden diverse System-, Bild- und Klangparameter mittels MIDI-Controllern und Tablet (OSC) gesteuert.